Der Liebeswunsch

Manchmal stolpert man anders ins Fernsehen herein, als man je ins Kino hineinstolpern könnte ("ups, da bin ich mitsamt der Tüte Popcorn in Kino 6 hängen geblieben und plötzlich lief Final Destination VII" - glaubwürdig würde das wohl nicht klingen). In den Liebeswunsch bei der ARD bin ich aber im wahrsten Sine des Wortes hineingestrauchelt. Inwiefern die Kinoverfilmung des Liebeswunsches von Dieter Wellershoff jetzt dem Buche Genüge tun kann, kann ich hier mangels Textkenntnis nicht beurteilen, aber der Film weist etliche Leerstellen auf, von denen ich mir kaum vorstellen kann, dass sie bereits den Roman kennzeichnen. Der Titel sagt in gewisser Hinsicht bereits alles, es geht um den (vermutlich von verschiedenen Charakteren gehegten) Wunsch nach Liebe, der, sonst wäre es nicht so spannend, selbstredend unerfüllt bleiben muss und in eine Katastrophe mündet. Bezeichnend sind hier die Kunden-tags, die Amazon-Kunden dem Roman hinzugefügt haben: liebe (2), fremdgehen (1), seitensprung (1), selbstmord (1).  Wobei, das muss man erwähnen, von Liebe eigentlich eher wenig zu sehen ist. Problematisch ist, dass dabei keine der Personen sympathisch gezeichnet ist, was dazu führt, dass man als Zuschauer deren Wünsche kaum ernst nehmen kann. Das scheint aber für den Ablauf des Filmes sehr  notwendig zu sein, damit nämlich alles bei jeder Gelegenheit freie Bahn hat, eine Wende zum Schlechteren zu nehmen. Es knarzt aber gerade daher überall so offensichtlich im Getriebe, dass man beim Betrachten auf diese Wenden zum Schlechteren auch mit der Nase gestoßen wird. Gleichzeitig fehlt die Basisplausibilität. Wenn es hier um gegenseitiges Betrügen und unerfüllte Liebeswünsche gehen soll, dann müsste zu allererst irgendwie so etwas wie Liebe merkbar sein. Aber bei jeder einzelnen Figur läuft jeder Versuch, Gefühle zu entdecken, unandockbar ins Leere. Keine der Beziehungen, die sich hier dreiecksartig (oder karréemäßig) konstituieren, wird auch nur annähernd glaubwürdig vermittelbar. Germanistik-Studentin (jaja, ausgerechnet!) Anja (Jessica Schwarz), wirkt in den ersten Einstellungen schon als in sich selbst vergraben, was vermutlich eine Projektionsfläche für die Vermutung selbstvergessener Romantik abgeben soll. Wie sie dann aber eine Attraktion zu Chef-Langeweiler Leonhard (Tobias Moretti, stets bemüht, dabei distanziert und immer gut gebügelt) entwickeln soll - keine Ahnung. Dass dann sofort in der nächsten Einstellung das erste Kind geboren wird - geschenkt! Dass es hier an Liebe fehlt, will schnell einleuchten, es fehlt ja auch daran, und das skizzenhaft dargestellte Zurückziehen beider Parteien in vertraute Bereiche (Beruf einerseits, Selbstvergessenheit und Träumerei - aber wovon eigentlich? - andererseits) ist auch klar. Nur: wie konnte es überhaupt zu einer Attraktion kommen? Und wie kann sich zwischen Anja und Jan (Ulrich Thomsen) ein Verhältnis entwickeln, über dessen mehrmonatige Dauer man fast erschrickt, denn was haben die da die ganze Zeit in ihrer freudlosen Ödnis gemacht? Etwas Besseres, als Jan in seiner Ehe mit der nach eigenem Bekunden im Bett langweiligen Marlene (Barbara Auer) tut, die irgendwann einmal Leonhard (um Himmels Willen, wie kamen die denn zusammen?) für Jan verlassen hat, der sich dafür seinerseits von seiner damaligen Ehefrau samt Tochter trennte und seine Tochter "aus Scham" nie mehr wieder gesehen hat. Ja: *schluck*, das nimmt man doch niemandem ab, außer wenn es dem Erzähler gelingt, so etwas wie Interesse an den Figuren zu wecken. Bei so vielen Leerstellen, die der Film lässt, ist es aber für den Zuschauer schwer, sich mit dem Mindestmaß an Vertrauen auf die Figuren einzulassen, die eine Berührung durch deren Schicksal zuließe. Alles wirkt leer, fremd und emotionell so untertourig wie intellektuell - letzteres aber nicht ohne hilflose Angeberversuche in Literatur, Musik und Spiritualität. Alles Weitere wirkt extrem bemüht: Anjas sogenannte Leidenschaftlichkeit (roter Bikini, öfter mal in Unterwäsche herumsitzen, im Auto entblößen, "fick mich" sagen, Alkoholismus), Leonhards buchhalterhafte Romantik, Jans Wildheit, Marlenes Anziehung - alles wirkt wie am Zeichenbrett abgezirkelt. Dabei gelingt dem Regisseur (Torsten C. Fischer) noch das Kunststück, dass er nicht einmal den gemeinsamen Sohn Anjas und Leonhards, Daniel, ausführlich genug beschreibt, als dass man an seinem fürchterlichen Verbrennungsunfall mehr als abstrakt Anteil nehmen kann. Ein kalter Wind weht durchs Psychologielabor, das der Film aufbaut, um seine Versuchspersonen aber am Ende nicht Ernst genug zu nehmen.

Menschen: