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Nostalgie

Die Nostalgie ist der süße Würgegriff der schlecht gealterten Vergangenheit. Man muss nur aufpassen, dass er einem nicht den Hals umdreht.

Jedenfalls könnte man das so ausdrücken, wenn man etwas aphoristisch veranlagt ist. Jetzt fragt man sich zwar sogleich, was denn noch einmal ein Aphorismus war, aber diese Frage lenkt ja jetzt doch möglicherweise etwas vom eigentlichen Ziel des Begriffes der Nostalgie ab. Die Nostalgie ist ja nicht nur der süße Würgegriff, sondern auch eine im Prinzip unstillbare Sehnsucht, etwas zurückzuerlangen, was man ja im eigentlichen Sinne nie besessen hat. Das ist an sich ja bereits eine sehr merkwürdige Konstellation, denn man möchte ja einmal wissen, wie das denn so zugehen kann, dass man sich etwas in einer Form zurückwünscht, die es nie hatte. Um das genauer zu durchdringen, muss man wissen, dass der Mensch sich seine Welt ja durchaus zurechtkonstruiert, also dass die eigenen Erinnerungen ja nicht etwa ein neutrales und korrektes naturgetreues Abbild des Erlebten sind, sondern eine Konstruktion dessen, was wir als erlebt wahrgenommen haben, was dann aber in weiteren Schritten im eigenen Kopf interpretiert und gedeutet worden ist. Und diese gedeutete und bisweilen auch deutend veränderte Version bildet dan die Grundlage unserer so genannten Erinnerung. Dass wir dabei aber auch noch gelegentlich so stark redaktionell verfahren, dass wir das Angenehme lieber und besser erinnern wollen als das Unangenehme (außer vielleicht, es hat uns traumatisiert, dann können wir vermutlich auch das Unangenehme sehr lange und sehr gut behalten), liegt dabei ja fast schon auf der Hand. So, wenn wir uns also zurückerinnern (oder wenn wir glauben, wir erinnerten uns), dann rekonstruieren wir ja eher die Vergangenheit (ebenfalls wieder innerhalb der Grenzen unseres eigenen Bewusstseins, das ja bereits beim Speichern "wertend" und selektiv verfahren ist), als dass wir ein Abbild ihrer selbst abrufen. Wenn aber bei beiden Prozessen unser Bewusstsein am Werke ist, dann kann es sein, dass uns unsere Rekonstruktion am Ende doch noch besser gefällt als die Wirklichkeit je war. Schade eigentlich für die Wirklichkeit.